Original Salzwedeler Baumkuchen
Nach einer Lesart soll der Baumkuchen aus der ungarischen Pußta stammen und dort als Hochzeitskuchen gebacken worden sein. Im Berliner Lokalanzeiger Nr. 575 vom Sonntag d. 4.12.1932, 1. Beiblatt, gibt ein Dr. Franz Lederer folgende Schilderungen: Ein Schornsteinfeger, der, wie das im Mittelalter so üblich war, von Dorf zu Dorf, von Stadt zu Stadt wanderte, kam eines Tages auch nach Berlin, wo er bei einem Pfefferküchler eine sehr gastliche Aufnahme fand. Zum Dank dafür überließ er ihm ein Baumkuchenrezept, das er auf seinen Wanderfahrten in Kottbus kennen gelernt hatte.
Weiter schreibt Lederer: Eine Berliner alteingesessene Konditorei besitzt ein umfangreiches historisches Archiv über das Konditoreigewerbe und hat auf Grund der Aufzeichnungen die interessante Tatsache festgestellt, dass der Baumkuchen 1932 sein 250 jähriges Jubiläum feiern kann; denn der Baumkuchen wird zum ersten Mal in einer Schrift aus dem Jahre 1682 erwähnt, die der Hofmedicus des Großen Kurfürsten Johann Sigismund Elsholz unter dem Titel "Gewürztes Brot und von allerhand Gebackenes" herausgab. Darin beschreibt er ein Berliner Spezialgebäck, einen großen Kuchen, den er "Placentae cylindricae" oder "Baumkuchen" nennt.
Die Art seiner Herstellung ist im allgemeinen bekannt, soll aber doch nochmals kurz gestreift werden. Die Kuchen werden am offenen Feuer wie Fleisch am Spieß gebacken. Hier in Salzwedel wird meistens gut getrocknetes Buchenholz verwandt, das in Längen von 25 cm gesägt u. gespalten ist. Man kann auch Birken- oder Ellernholz verwenden, welches jedoch schneller wegbrennt, jedenfalls kein Holz wie Tannenholz, das irgendwelchen Geruch abgiebt. Manche Konditoreien backen auch mit Gas, elektrisch oder mit Koksfeuerung. Durch die aus hartem Holz hergestellten und am Ende konisch zulaufenden Walzen führt eine Eisenstange mit einer Vorrichtung zum Drehen durch Maschinenkraft oder Handbetrieb. Auf die Walzen wird Papier festgebunden, auf das dann nach dem nötigen Erhitzen der Walze die für den Kuchen bestimmte Masse aufgefüllt und schichtweise ausgebacken wird. Die von der Walze herabträufelnde Masse wird in einer breiten Pfanne aufgefangen und wieder mit frischer Masse aufgetragen, bis alles gebacken ist. Das Bestreben der Masse, nach unten zu sinken, wird durch die Hitze gehindert, und wie sich die Eiszapfen durch stetes Anfrieren des Wassers bilden, bilden sich hier durch stetes Anbacken die Zacken. Der Zuckerguss wird nach Abkühlung des Kuchens darübergegossen.
Nun zur Geschichte des Salzwedeler Baumkuchens. Ernst August Garves soll einer französischen Emigrantenfamilie entstammen und ein kluger Mann mit aufrechter Gesinnung gewesen sein. Er war ein ausgezeichneter Küchenmeister beim Markgrafen von Schwedt, dem Schwager des großen Friederich. Der Dienst unter Friedrich Wilhelm II. behagte ihm nicht. Er wandte deshalb Berlin den Rücken, zog nach Salzwedel und übernahm die Bewirtschaftung des Neustädter Kellers, des heutigen Hotels Schwarzer Adler, der unter seiner Leitung aufblühte.
Seine zweite Tochter Christiane Charlotte Elisabeth heiratete im Alter von 25 Jahren 1801 (anderweitig im September kopuliert) den in Salzwedel adjungierten Stadtmusikus Johann Joachim Friedrich Lentz, einzigen Sohn des Kgl. pensionierten Lieutenants von der Armee Christian Friedrich Lentz. Das Haus hieß damals Am Markt Nr. 930 und 991. 1820 kaufte Lentz den Neustädter Keller von der Stadt für 2010 Thlr. Courant. Seine Tochter Friederike Louise wurde am 15. Okt. 1803 geboren (Kirchenbuch St. Kathar. 1803/49), sie starb am 23. Mai 1862 nachm. 3 Uhr am Zehrfieber (St. Kathar. 1862/39). Nach dem frühen Tode ihres Mannes führte Frau Lentz allgemein bekannt als "Madame Lentz" die Wirtschaft weiter, treu unterstützt von ihrer Tochter Louise.
Vom Großvater hatte diese die Gabe der Kochkunst ererbt. Es war ihr eine Freude, sein altes, selbstgeschriebenes Kochbuch mit den kostbaren Rezepten zu durchforschen. Dabei las sie auch von der Kunst des Baumkuchenbackens, versuchte sich darin und brachte es bald zu einer Meisterschaft in dieser Kunst.
Als Friedrich Wilhelm IV. am 26. Mai 1841 Salzwedel besuchte, das seit Kurfürst Joachim II. (1535-1571) keinen ihrer Fürsten und Könige in seinen Mauern gesehen hatte, gab die Stadt zu Ehren des Königs ein Essen, zu dem auch Baumkuchen gereicht wurde. Der Kuchen mundete dem König so vorzüglich, dass er bat, den Rest für seine Gemahlin mitnehmen zu dürfen. Louise Lentz sandte zu Weihnachten einen Baumkuchen an den Hof nach Berlin und erhielt als Gegengabe ein herrliches Service aus Meißner Porzellan. Bald folgten auch Bestellungen aus Wien u. Petersburg. Der Weg in die Welt war für den Baumkuchen frei.
Nun erzählt eine Salzwedelerin in der Beilage des Wochenblattes "Unsere Altmark", dass sich seit dieser Zeit oft des Sonntags nachmittags ein stiller Gast im Schwarzen Adler einstellte, seine Tasse Kaffee trank u. dazu 2 Stückchen Baumkuchen bestellte u. gedankenvoll verzehrte. Schließlich sagte er einmal zu Mamsell Lentz, wie Louise kurz genannt wurde: "Ich kriegs doch nicht so raus wie Sie, Mamselling." Dieser stille Gast war Andreas Fritz Schernikow. Sein Vater Johann Christian Schernikow war am 21. Januar 1808, im Alter von 24½ Jahren, zum Meister ernannt. Das Geschäft befand sich in der Holzmarktstraße, wo es heute noch ist. So übernahm allmählich A. F. Schernikow die Baumkuchenbäckerei.
Wieder hatte Salzwedel Königsbesuch. Am 22. November 1865 weilte König Wilhelm I. in Salzwedel. Zu dem Festessen in der Propstei hatte Schernikow einen hübsch verzierten Baumkuchen geliefert und saß nun nach getaner Arbeit still zu Hause und stippte seine Semmeln in den Nachmittagskaffee. Da kam ein Bote von der Propstei, er solle sofort zum König kommen. Vor Aufregung konnte er nicht den Frack anziehen, das Umbinden der kleinen schwarzen Bändchen als Schlips gelang schon gar nicht. Der König fragte ihn, ob er den Kuchen gebacken hätte, und meinte dann, er hätte den Baumkuchen so schön aufgebaut, nun könne er ihn auch wieder kaputt machen und anschneiden. Schernikow wurde darauf zum Kgl. Hoflieferanten ernannt. Im dem Jahre backte die Firma 80 Baumkuchen.
A. F. Schernikow verstarb 1875. Sein Geschäft übernahm sein Neffe Fritz Gerecke. Ein anderer Neffe, der Sohn von Fritz Schernikows Bruder Karl, Emil Schernikow, gründete an der Ecke Gr. St. Ilsenstraße - Schulwall eine Konditorei u. Baumkuchenbäckerei. Gelegentlich der Hofjagd in Letzlingen 1878 lieferte er einen mit einer wunderbaren Jagdgruppe aus Tragant u. oben mit dem preuß. Adler verzierten Baumkuchen, worauf ihn Kaiser Wilhelm zum Kgl. Hoflieferanten ernannte.
Im Hotel "Schwarzer Adler", dem Stammhaus der Salzwedeler Baumkuchen, wurden die Baumkuchen noch weiter gebacken, auch als der zu Genthin geborene Kaufmann Franz Wilhelm Carl Beckmann, Sohn des Kgl. Oberamtmanns Friedrich Julius Wilhelm Beckmann aus der Warthegegend, sich am 26.11.1844 mit Friederike Agathe Henriette Lentz, einer Schwester von Mamsell Louise, verheiratete und später das Hotel übernahm. Beckmann, sein Bruder "Onkel Beckmann", ein Sonderling, der mit langem weißem Bart in Wind und Wetter stets barhäuptig Zigarrenspitzen u. Pfeifen verkaufte, sowie der alte Oberkellner Louis Erbstößer waren in der ganzen Reisewelt Deutschlands bekannt. Nach dem Verkauf des Hotels wurde die Baumkuchenbäckerei von einem Nachfolger abgetrennt und schlief in diesem Zweige allmählich ein.
Emil Schernikow hatte z. Zeit einen Kompagnon Peters. Dieser wurde aber bald abgefunden und ging nach Magdeburg, wo er das "Café Peters" am Breitenweg aufmachte. Nach der Schlappe auf der Berliner Gewerbeausstellung 1896 zog sich Peters nach Salzwedel zurück und erbaute das Gebäude Breite Str. 3, in dem sich heute die Commerz- u. Privatbank befindet. Nach Peters Tode führte die Witwe die Baumbäckerei noch eine Weile fort, aber auch dieses Geschäft ging bald ein. Emil Schernikow u. mit ihm sein alter langjähriger Werkmeister Deeling führten durch erstklassige Fabrikate den Salzwedeler Baumkuchen zum Weltruhm.